Bei Naht- und Saumzugaben scheiden sich die Geister. Es gibt Schnittmuster, die die Nahtzugabe bereits enthalten und welche, bei denen du sie noch hinzufügen musst. Die Angaben dazu findest du entweder in der Anleitung oder direkt auf dem Schnittbogen. Bei einer guten Anleitung ist die Info an beiden Stellen vermerkt.
Die Geschmäcker sind ja bekanntermaßen verschieden und so auch die Vorlieben, wie ein Schnittmuster beschaffen sein sollte. Ich selbst habe ganz klassisch mit deutschen Nähzeitschriften das Nähen angefangen, die normalerweise ohne Nahtzugabe angelegt sind, und bin deshalb meiner Vorliebe für Schnittmuster ohne Nahtzugabe treu geblieben.
Welche Zugaben gibt es eigentlich?
Vorneweg hier erst mal eine kurze Erklärung, welche Aufgaben Naht- und Saumzugaben überhaupt haben:
Nahtzugaben sind schmale Streifen am Rand eines Schnittteils. Wenn du zwei Schnittteile zusammennähst, verschwinden die Nahtzugaben im Inneren oder auf der Rückseite des Projekts, und die Nahtlinie entspricht deinem originalen Schnittteil ohne Nahtzugabe.
Sie gehen meist rund um ein Schnittteil herum.
Saumzugaben braucht man an allen Kanten die nicht zusammengenäht oder eingefasst werden. Das sind klassische Säume am Bund und den Ärmeln von Oberteilen oder ein Hosensaum. Aber auch Elemente wie aufgesetze Taschen enthalten am oberen Ende oft einen Saum. Ein Saum wird einfach oder doppelt nach innen gefaltet und bietet am Ende einen schönen Abschluss.
Eine Saumzugabe befindet sich nur an den jeweils relevanten Kanten und ist meist breiter als eine normale Nahtzugabe. Ein paar Standardwerte findest du weiter unten auf dieser Seite.
Bleibt ein Abschluss unversäubert oder wird eingefasst, benötigst du hier natürlich keine Zugabe. Und auch am Bruch wird natürlich keine Zugabe hinzugegeben.
Vorteile des Selbst-Einzeichnens
Hier ein paar Beispiele, warum es immer gut ist, wenn du deine Nahtzugabe selbst einzeichnen kannst:
- Kennst du die Breite deiner Lieblingsfüßchen? Wenn dein Nähfüßchen 1,4 cm breit ist, funktioniert eine Nahtzugabe von 0,7 cm sehr gut. Dann kannst du füßchenbreit nähen, wenn in einem Schnitt genau diese Zugabe enthalten ist. Andernfalls musst du noch mal an die Nahtzugabe ran. Wenn du mit einer Overlock-Maschine nähst, kannst du die Stichbreite einstellen. Allerdings musst du das dann gegebenenfalls bei jedem neuen Schnitt erneut anpassen. Wie das geht, steht in deiner Bedienungsanleitung.
- Ist in deinem Schnitt stattdessen 1 cm Nahtzugabe enthalten? Dann kannst du dich bei einer Nähmaschine an der 1-cm-Markierung orientieren. Eine 1-cm-breite Overlocknaht ist allerdings meistens nicht einstellbar, und du belastest deine Messer unnötig, da jede Kante geschnitten werden muss – und die Stoffkante nicht knapp am Messer vorbeigeführt werden kann, um es zu schonen. Bei Jerseyprojekten für die Overlockmaschine solltest du die Nahtzugabe also unbedingt anpassen.
- Dein Ausschnitt soll anders verarbeitet werden? Du möchtest den Halsausschnitt anders als in der Anleitung angegeben nicht einfassen, sondern lieber mit Beleg verarbeiten? Dann benötigst du hier eine Nahtzugabe, die nicht im Schnitt eingeplant war. Oder andersherum: Wenn du den Ausschnitt bei einem Beleg-Schnitt lieber einfasst, musst du die Zugabe sogar wegkonstruieren. Du siehst: die Zugabe selbst einzuzeichnen, lässt dich ein Projekt immer wieder anders umsetzen.
- Du möchtest gerne eine Teilung in deinem Pulli nähen? Manchmal reicht der Stoff nicht ganz und eine Teilung muss her. So ein eine Teilung ist meist recht schnell eingezeichnet, aber spätestens jetzt musst du wissen, wie eine Nahtzugabe hinzugefügt wird, damit beispielsweise das Vorderteil am Ende nicht kürzer als das Rückteil ist. Teilungen, die selbst eingearbeitet werden, müssen immer mit einer eigenen Nahtzugabe versehen werden.
- Bei welchem Schnitt war noch mal wie viel Nahtzugabe dabei? Wenn du häufiger zwischen Jersey- und Webware-Schnitten und unterschiedlichen Schnitterstellern hin und her wechselst, musst du jedesmal genau nachlesen, wo du mit wieviel Zugabe an den Nähten und am Saum arbeiten musst. Gibst du die Zugaben jedoch selbst hinzu, kannst du auf deine eigenen Lieblingswerte vertrauen oder darauf, dass du dir die jeweiligen Werte plakativ auf deinen Schnittteilen vermerkst.
- Du kommst vor allem bei Rundungen mit der Kantenführung nicht klar? Bei Schnitten ohne Nahtzugabe kannst du auch immer die Nahtlinie zusätzlich einzeichnen, indem du das Schnittteil mit deinem Markierstift knapp umrandest. Dann hast du auf deinem Schnittteil aus Stoff sowohl die Nahtlinie als auch die Außenkante für deinen Zuschnitt. Beim Nähen orientierst du dich dann nicht an der Stoffkante sondern an der eingezeichneten Nahtlinie.
Aber natürlich kann man eine Sache kaum beschönigen: Du musst bei einem Schnitt, der noch keine Zugaben enthält, die Zugaben selbst hinzufügen. Denn ohne Nahtzugaben fehlt dir später im wahrsten Sinne des Wortes an allen Ecken und Enden Stoff.
Wann kommen die Zugaben an den Schnitt?
Du kannst dir die Zugaben entweder an deinen Papierschnitt hinzufügen oder direkt auf deinen Stoff übertragen. Ich zeige dir hier mal beide Varianten. Wähle die, die für dich erst mal intuitiver ist. Du kannst dein System auch jederzeit umstellen – solange du dir das auf deinen Schnittteilen vermerkst.
Nahtzugabe auf Papier anzeichnen (anfängertauglich)
- Schnittteile auf Papier abpausen
- Zugaben an die Papierschnittteile hinzufügen
- Papierschnittteile ausschneiden (enthält jetzt bereits die Zugaben)
- Papierschnittteile auf den Stoff legen und Stoff ausschneiden
Das ist dann ganz so als würdest du einen Schnitt mit bereits enthaltenen Zugaben nutzen. Hier besteht natürlich wieder der Nachteil, dass du jetzt nicht einfach einen Beleg statt eines Einfassstreifens arbeiten kannst. Aber zum Üben ist es immer entspannter, wenn man sich nicht direkt über den Streichelstoff hermacht.
Nahtzugaben direkt auf Stoff übertragen
- Schnittteile auf Papier abpausen und ohne Weiterbearbeitung ausschneiden
- Papierschnittteile auf den Stoff legen
- Zugaben auf den Stoff hinzufügen
- Stoffschnittteile ausschneiden
Auch für Nähanfängerinnen hat diese Methode einen großen Vorteil: Du kannst nämlich sowohl deine Nahtlinie (ohne Nahtzugabe) übertragen als auch die Schnittlinie (mit Nahtzugabe) hinzufügen. So kannst du als Anfänger:in direkt auf der Nahtlinien-Markierung nähen.
Als echter Profi zeichnest du die Zugaben noch nicht mal mehr an, sondern schneidest den Stoff direkt im richtigen Abstand aus. Statt Schneiderkreide oder Markierungsstift greifst du einfach gleich zur Schere. Eine große Hilfe sind dabei Tools wie die Zuschneidehilfe »Einfach Karl«, die auf einem magnetischen Abstandshalter basieren. Es können Nahtzugabe zwischen 1 und 6 cm eingestellt werden, und es gibt dieses Tool für deine ganz normale Schneiderschere wie auch für deinen Rollschneider. Dann heißt es allerdings »Einfach Karlchen«.
Zugaben einzeichnen
Am einfachsten zeichnest du die Nahtzugabe direkt beim Abpausen mit einem Geodreieck oder Lineal an die Nahtlinie an. Besonders gut geht das auch mit einem Saummaß, das schon ein paar Standardwerte enthält. Strichele die neue Schnittlinie in regelmäßigen Abständen und zeichne sie anschließend harmonisch nach.
Es gibt auch sehr positive Erfahrungen damit, zwei Stifte aneinander zu kleben. Der Abstand zwischen den beiden Minen ist dann der Wert für deine Nahtzugabe. Du benötigst so noch nicht mal mehr ein Lineal und schlägst zwei Fliegen mit einer Klappe: Nahtlinie UND Nahtzugabe werden gleichzeitig angezeichnet. Probiere es mal aus!
Tadaa! Deine Nahtzugabe ist schon fertig!
Eine Saumzugabe wird genauso eingezeichnet – nur in einem anderen Abstand. Hier gibt es allerdings die Besonderheit der Spiegelecken: Bei ausgestellten Formen muss die Saumzugabe ab der Saumlinie enger werden, da sich sonst zu viel Stoff im Saum befindet. Bei zum Saum hin enger werdenden Schnittteilen benötigt die Saumzugabe mehr Weite. Die Beachtung von Spiegelecken ist vor allem bei Webware-Projekten wichtig, da die nötige Dehnung fehlt.
Rein theoretisch gibt es die Spiegelecken bei einer Nahtzugabe auch. Sie wird aber nur bei sehr extremen Winkeln wichtig und kommt nicht so sehr wie bei einer Saumzugabe zum Tragen, da eine Nahtzugabe weniger breit ist.
Die richtigen Breiten der einzelnen Zugaben
Auch bei den Breiten der einzelnen Zugaben gibt es individuelle Vorgaben. In der folgenden Auflistung findest du ein paar Standardwerte, die du verwenden kannst, wenn in deiner Anleitung keine Werte angegeben sind. Passe die Breiten gerne an deine Erfahrungen und die von dir verwendeten Stoffe an.
Diese Werte eignen sich für Nahtzugaben:
- 0,7 mm, die Hälfte deines Lieblingsnähfußes oder die Breite deiner Overlocknaht
- 1 cm, um die Markierung an der Nähmaschine zu nutzen
- 1 cm bei Webware, damit ausreichend Platz für die Versäuberung bleibt
- Etwa 2 cm an den Seitennähten von Webware-Projekten, wenn du befürchtest, dass das Kleidungsstück zu eng sitzen könnte
- Individuelle Werte je nach Anleitung für eine französische Naht oder Kappnaht
Diese Werte eignen sich für Saumzugaben:
- 1 cm für einen stark gerundeten einfachen Saum
- 2 cm für einen stark gerundeten doppelten Umschlagsaum
- 2 bis 4 cm für einen normalen, einfachen Saum
- 4 bis 6 cm für einen geraden, doppelten Umschlagsaum
- Individuelle Werte für die Verarbeitung eines Gummizugs
Generell lässt sich sagen, dass runde Säume einen schmalen Saum erfordern. Bei Webware ist es sehr oft sinnvoll, solche Kanten stattdessen einzufassen oder einen Beleg zu verarbeiten.
Breite Säume wirken eleganter und verhindern vor allem bei Jersey-Oberteilen, dass der Saum unschön nach außen klappt.
Ein doppelter Umschlagsaum benötigt bei gleicher Höhe mehr Stoff und trägt bei etwas dickeren Stoffen mehr auf als ein einfacher Saum. Dafür sieht er auch von innen schick aus, gerade wenn du nicht die Möglichkeit hast mit einer Overlock-Maschine zu versäubern.
Und jetzt ran an Lineal und Markierstift! Denn Übung macht auch hier die Meisterin!
ps. Meine E-Books aus der P’Easy-Reihe enthalten sowohl die Nahtlinie als auch eine Nahtzugabe. Die »LaPata Socks« sind komplett ohne Nahtzugabe. Sie eignen sich somit perfekt zum Üben des Hinzufügens: